Zensur – Die Medien so:

„…Widerstand gegen das Gesetz, das vorsieht, den Zugriff auf Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten auf eine „Stoppseite“ umzuleiten …“

So oder so ähnlich lese ich überall, wo über diese Petition berichtet wird, auch dort, wo die Kritik ansonsten tatsächlich sauber und fair rübergebracht wird.

Drum ich so:

Das ist aber leider sachlich falsch! Nein, das Gesetz sieht mitnichten vor, nur „echte“ Kinderpornoseiten zu sperren, sondern im Gegenteil, neben diesen Seiten auch Seiten zu sperren, die mittelbar zu Seiten führen (können), auf denen man solches Material finden kann. Wobei diese „Mittelbarkeit“ sehr weit gehen kann. Man muss sich klarmachen, was das bedeutet! Verklausuliert ist das im Text wie folgt:

§ 8a Bekämpfung der Verbreitung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen

(1) Im Rahmen seiner Aufgaben als Zentralstelle nach § 2 des Bundeskriminalamtgesetzes führt das Bundeskriminalamt Listen über vollqualifizierte Domainnamen, Internet-Protokoll-Adressen und Zieladressen von Telemedienangeboten, die Kinderpornographie nach § 184b des Strafgesetzbuches enthalten oder deren Zweck darin besteht, auf derartige Telemedienangebote zu verweisen (Sperrliste). Es stellt den Diensteanbietern (nach Absatz 2) arbeitstäglich zu einem diesem mitgeteilten Zeitpunkt eine aktuelle Sperrliste zur Verfügung.

(2) Diensteanbieter […] haben geeignete und zumutbare technische Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu Telemedienangeboten, (die Kinderpornographie nach § 184b des Strafgesetzbuchs enthalten oder deren Zweck darin besteht, auf derartige Telemedienangebote zu verweisen und) die Bestandteil der Sperrliste des Bundeskriminalamts nach Absatz 1 sind, zu erschweren. […]

Wer schonmal erlebt hat, wie juristische Spitzfindigkeit Inhalte aus Gesetzestexten heraus – oder in solche hinein – lesen kann, weiß, dass dieser „Zweck“ natürlich ein völliger Gummibegriff ist. Ebenfalls steht hier nirgends, dass dieses „verweisen“ direkt erfolgen muss, somit heißt das also „irgendwie“. Da ein Link im Internet immer den „Zweck“ eines „Verweisens“ hat, schlicht, weil er eben das ist: ein „Verweis“, ist es theoretisch möglich endlose Ketten zu erzeugen, die alle möglichen Seiten, die überhaupt kein Kinderpornomaterial beinhalten, zu sperren.

Also, um mal ein garnicht so aus der Luft gegriffenes, weil diese „Verweislogik“ bestätigendes Beispiel aufzubauen, wir nehmen einen Link zu Wikileaks an, wo die dänische Sperrliste zu finden ist und mit Sicherheit (alles andere wäre naiv) bald auch die deutsche, und die entsprechend wohl eine der ersten dieser „mittelbaren“ Seiten sein dürfte, die ein „STOPP“ bekommen, ohne eine Kinderpornoseite zu sein, und somit jeder Link dahin einer auf eine STOPP-Seite wäre, deren Aufruf mitgeloggt wird und zum Verdacht führt, der Linksetzer, wie auch der, der den Link klickte seien „Pädokriminelle“.

Oder einen Link zu jemandem, der seinerseits Wikileaks verlinkt hat.

Und dabei kann es am Ende auch wurscht sein, ob der Link zu Wikileaks wegen was ganz anderem gesetzt wurde. In diesem Fall wäre auch wikinews „gestoppt“.

Und danach auch ich, da ich hier jetzt nun auf eine STOPP-Seite gelinkt hätte.

Und danach jeder, der mich verlinkt.

Achso, und natürlich darf jeder, der auf diese Weise nun auf eine STOPP-Seite geraten ist (Seitenbetreiber wie Seitenleser), befürchten, dass sein PC beschlagnahmt und seine Wohnung durchsucht werden kann. Ohne freilich nachweisen zu können – oder zu dürfen – dass sich hinter der STOPP-Seite garkein Kinderporno-Material befunden hätte. Denn wer nachschaut und doch welches findet hat sich spätestens in diesem Moment dann doch strafbar gemacht. Catch 22.

Wenns „nur“ um echte Kipo-Seiten ginge, und das so, dass das auch gesichert wäre (per Richter, parlamentarischer Kontrollinstanz o.ä.) hätte ich nichtmal was dagegen – nicht dass es was brächte, eine populistische Politiker-Aktionismusblase zum Wahlkampf mehr ohne jeglichen Effekt, ich surfe seit Beginn der 90ger durchs Netz und bin noch nie auf Kinderporno gestoßen, entsprechend würde ich dann wohl auch nie auf eine „STOPP-Seite“ stoßen, wenn diese tatsächlich ausschließlich vor KiPo-Seiten stünden – aber es geht eben explizit NICHT um Kinderpornoseiten.

Ruckzuk ist auch mal eben Wikipedia, archive.org oder wikinews gesperrt, von vielen kleinen privaten Seiten (speziell auch Blogs o.ä.) ganz abgesehen. Gerade das Ausland, das schon sperrt, hat das in der Vergangenheit schon des Öfteren bewiesen.

Nochmal deutlich: Die Darstellung, „das Gesetz sperrt Kinderpornoseiten“, macht aus jeder Meldung, die dies so oder so ähnlich wie oben zitiert, eine Falschmeldung! Denn da ist nicht nur was weggelassen, sondern die Weglassung verfälscht die Aussage. Das wollt ihr nicht, ich weiß, das ist nicht Absicht. Aber es ist faktisch dennoch so. Die Angst vor Zensur basiert NICHT darauf, dass Kinderpornoseiten nicht mehr erreichbar sein könnten. Sie basiert darauf, dass eben nicht nur Kinderpornoseiten gesperrt werden und nicht nur der Zugriff auf Kinderpornoseiten den drauf zugreifenden einer Straftat verdächtig macht!

Bitte, ihr Journalisten und Mainstream-Medien, versteht das und sagt das den Menschen da draußen in der Offline-Welt, denn die vertrauen immer noch darauf, dass ihr es seid, die ihnen rechtzeitig sagen, wenn was nicht in Ordnung ist und ihr sie korrekt und sachlich umfassend und verständlich informiert!

Und wer noch nicht hat, möge deshalb hier die Petition gegen dieses Gesetz unterschreiben.

Achso, bei der Gelegenheit wäre es vielleicht auch gut, sich die parlamentarische Debatte mal genauer anzuschauen, denn es gibt da tatsächlich ein paar Leute, die sogar – mehr oder weniger – den vorgeschlagenen Gesetzestext gelesen haben und entsprechend – mehr oder weniger – inhaltlich sachlich korrekt kritisieren:

Der sachlich und fachlich kompetenteste Beitrag:

In manchen Punkten fachlich „schlampig“ und etwas wirr, man merkt, der Mann redet über etwas, das er nicht kennt. Dennoch, immerhin:

Hier übrigens ein hübsches Beispiel seitens der Kommentatorin, was ich da oben mit meinem Zitat ansprach:

5 Gedanken zu „Zensur – Die Medien so:

  1. Selbst Prof. Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) für Software-Systemtechnik hat offensichtlich nicht begriffen, worum es geht: Internetwissenschaftler: „Sachlicher über Sperren von Internetseiten diskutieren“:

    „Interessanterweise hat bei gedruckten Medien die Öffentlichkeit längst akzeptiert, dass Strafbares dort nicht veröffentlicht werden darf und versteht das nicht als Angriff auf die Meinungsfreiheit. Wir müssen lernen, dass dies auch für das noch sehr junge Medium Internet zu gelten hat“, betonte Meinel. Der Wissenschaftler kritisierte Aussagen, dass die Sperrung von Kinderpornographie-Seiten im Internet das Grundrecht auf Informationsfreiheit gefährde. Solche, die dies behaupteten, schürten gleichzeitig „irrationale Ängste“, dass Websperren Stück für Stück auf weitere Inhalte im Internet ausgedehnt würden. Aber auch im Printmedienbereich sei es lange akzeptiert, dass es ein legitimes Recht der Gesellschaft ist, sich gegen die Veröffentlichung solcher Inhalte zu wehren, deren Besitz, Nutzung oder Verbreitung gesetzlich verboten ist, sagte Meinel.

  2. Eben, das übersehen einfach zu viele, die darüber berichten oder sich damit beschäftigen, sogar die Kritiker (von den Befürwortern erwarte ich das ja schon garnicht mehr) – drum sag ichs nochmal. Außerdem hat der Mann ebenfalls nicht begriffen, dass diese Zensur eben gerade nicht „die Veröffentlichung solcher Inhalte“ verhindert oder bereits Veröffentlichtes entfernt, sondern sie nur verschleiert.

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