Subjektive Betrachtung einer Spezies und Überlegungen, wie man mit ihr umgehen könnte

Disclaimer: Achtung, hier folgen Klischees, Pauschalierungen, Stereotypen und Vereinfachungen, die sämtlichen beteiligten Personen natürlich niemals nicht gerecht werden!

Wie ich ja schon angekündigt hatte, konnte ich beim Besuch in England einige meiner Beobachtungen und Überlegungen zur Frage, was für sonderbare Leute da draußen in der Welt so herumlaufen, abgleichen. Mir ist klar, dass der Blickwinkel, fixiert auf einen einzigen Aspekt, sehr eng und spezifisch ist, aber das macht’s halt auch etwas simpler, und um etwas komplexes zu überblicken ist es meiner Erfahrung nach hilfreich, erstmal stark zu vergröbern und zu simplifizieren.

So genau weiß ich noch nicht, ob ich mich jetzt darüber freuen oder erschreckt sein soll, dass ich einige meiner Theorien, die bislang auf persönlicher Erfahrung in einem persönlichen Rahmen basierten, auch im anderen Bereichen bestätigt finden durfte (oder musste). Ich denke, ich freue mich eher, denn das macht es einfacher, ein paar simple Muster herauszuarbeiten und so ein wenig Linie in meinen Gedankensalat hineinzubringen. Darum werde ich mal versuchen, diesen ganzen Wust auf wenige Muster herunterzubrechen, so einfach und pauschal wie möglich und so unvollständig, wie es dadurch halt auch wird. Es ist also erstmal nichts weiter als „laut ins Unreine gedacht“.

Und so beginne ich gleich zu Anfang mit einer Pauschalierung, die postuliert, dass es eine Gruppe „normaler“ Menschen in einer „normalen“ Realität gibt, ohne auch nur im Geringsten auf die Frage nach „was ist normal?“ und „Was ist Realität“ oder gar „Gibt es eine allgemeine Realität“ einzugehen ;-)

„Normale“ Menschen streben nach materieller Sicherheit, interessieren sich für ihre direkte Umgebung und interagieren mit dieser. Zu dieser Umgebung gehören andere Menschen ebenso wie kulturelle Elemente, angefangen vom Sport über Musik, vielleicht sogar ein wenig Geschichte und, mit etwas Glück, auch Dinge, die sich mit dem Begriff „Bildung“ beschreiben lassen. Da diese Leute mengenmäßig die überwiegende Mehrheit in einer Gesellschaft stellen, darf man sie wohl als „Mainstream“ bezeichnen. Diese normalen Menschen leben in der normalen Welt, vielleicht nicht immer, weil sie wollen, sonder weil sie müssen, denn damit die „normale“ Welt funktioniert, muss man versuchen, irgendwie miteinander auszukommen und ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen zu finden.

Zu dieser normalen Welt existiert jedoch eine Parallelwelt: die der „wichtigen“ Leute.
In dieser Welt leben Menschen, die sich gerne selbst als Elite sehen und die sich dadurch auszeichnen, dass sie es im Normalfall nicht (mehr) nötig haben, sich Sorgen um ihr Auskommen zu machen. Geld hat in dieser Welt andere Zwecke, denn es ist genug davon da. Die Währung in dieser Welt ist Wichtigkeit.

Das wäre eigentlich kein Problem, wenn dieses Gefühl des Wichtigseins nicht ausgerechnet genau an den Umstand gekoppelt wäre, der diese Leute von den normalen Leuten völlig entfremdet: keinen Gedanken und keine Anstrengung auf materielle Sicherung verschwenden zu müssen. Diese Leute können – auch aus der Sicht des „normalen“ Menschen – tatsächlich tun, was sie wollen, ohne sich irgendwelchen ethischen Konventionen oder moralischen Normen unterwerfen zu müssen, die bei „normalen“ Menschen gesellschaftliche Sanktionierungen zur Folge hätten, die direkte Auswirkungen auf ihre materielle Sicherheit haben.

Mitglieder der Elite müssen im Extremfall nicht einmal mehr Angst vor Strafverfolgungen haben, wie der Fall Ackermann oder Hartz bewies. Man hat noch nicht gehört, dass ein Manager oder ein Politiker, dessen Handlungen den Verlust mehrerer Tausend Arbeitsplätze oder einiger Millionen Euro zur Folge haben, plötzlich im materiellen Abseits steht und von Sozialhilfe leben muss, weil er als Riesenversager keinen Job mehr bekommt. Eine Friseurin, die nicht gerade schneiden kann, wird spätestens nach dem dritten Mal auf keinen Kunden mehr losgelassen werden und kann sich nach einer Umschulungsmaßnahme umschauen.

Ich spare mir in diesem Zusammenhang die eigentlich notwendige Differenzierung zwischen den Bewohnern dieser Parallelwelt und jenen, die dort gerne leben würden, aber nicht können. All die Speichellecker, Radfahrer und Arschkriecher, der Bodensatz der Gesellschaft, die niemals kapieren werden, dass sie letztendlich trotzdem nie dazugehören werden, da sie ja sonst nicht mehr willfährig die Handlangerfunktionen übernehmen können, die es den Mitgliedern der elitären Welt ermöglichen, nicht allzu direkt mit der normalen Welt zu tun haben zu müssen.

Was ich mich jetzt lange gefragt habe, war, was Leute so wichtig macht, wenn es eindeutig nicht ihre Kompetenz ist. Die Antwort ist einfach: gar nichts. Ihre Wichtigkeit ist reine Einbildung. Eine Illusion. Oder besser: eine Fassade. Allerdings eine Fassade wie eine Filmkulisse: hinter der prunkvollen Front befindet sich eine schäbige Baracke, morsch und ungepflegt. Oder auch gleich gar nichts.

Wie kann es jetzt sein, dass diese Leute selbst von ihrer eigenen Wichtigkeit überzeugt sind und bleiben können, wenn diese Fassaden schon bei flüchtigstem Hinsehen gegenüber echten Gebäuden mit echter Bausubstanz als schlechte Kopien offenkundig werden? Denn selbst ein renovierungsbedürftiges Gemäuer, dessen Substanz aber stark und solide ist, zeigt diese Stabilität und ihr Gewicht dahinter, seine Form und die in ihr offenkundig werdende Handwerkskunst, egal wie abgeblättert oder ausgeblichen die Farbe auf den Ziegeln auch sein mag. Gegen diese Dreidimensionalität kommt keine noch so kunstfertig gemalte flache Tapete an.

Die Lösung für dieses Problem ist ganz einfach. Man sorgt dafür, dass es keine dreidimensionalen Vergleichsmöglichkeiten gibt, die da neben den flachen Tapeten herumstehen. Hinter dem Wunsch nach Exklusivität in sogenannten elitären Kreisen steht also nichts anderes als Angst. Angst vor dem Verlust der eigenen Illusion. Angst davor, dass die Ahnung, man lebe in einer Scheinwelt und man könnte vielleicht tatsächlich gar nicht so wichtig sein, wie man glaubt und möchte, tatsächlich wahr wäre. Angst vor dem kleinen Kind, das auf einen zeigt und sagt „Der hat ja gar nichts an“.

Das Mittel, um diese Trennung der elitären Scheinwelt zur normalen Welt zu erreichen und aufrecht zu erhalten, ist folgerichtig das, was auf der einen Seite in solchen Mengen vorhanden ist, dass es für die eigenen Existenzsicherung keinerlei Bedeutung mehr hat, und was auf der anderen gerade der Schlüssel dazu ist: Geld. Jemand, dem es egal sein kann, ob er für ein Glas Sekt fünf oder 50 Euro zahlt, zahlt die 50 Euro nicht, weil der Sekt so gut ist, sondern weil er sicher sein kann, dass er dort, wo er ihn trinkt, unter seinesgleichen ist. Jemand aus der normalen Welt verirrt sich nicht in ein solches Lokal.

Geld hat hier nicht etwa keine Bedeutung, wie man vielleicht glauben könnte, sondern übernimmt im Gegenteil die zur Aufrechterhaltung der Parallelwelt nötige Gatekeeperfunktion, die verhindert, dass Elemente der normalen Welt in diese eindringen könnten und damit die Illusion entlarven. So kann man unter sich bleiben und sich gegenseitig die erstrebte Wichtigkeit bestätigen.

An und für sich wäre es nun kein Problem, wenn neben dem Mainstream noch die ein oder andere Parallelwelt existierte, in der Menschen leben, die diese ihre kleine Welt mit dem verwechseln, was vom größten Teil der Menschheit als die Realität (im Sinne von Lebensrealität) wahrgenommen wird. Probleme treten allerdings da auf, wo es Berührungspunkte gibt. Zum Beispiel wenn Entscheidungen, die in der einen Welt getroffen werden, direkte Auswirkungen auf das Leben derer in der anderen Welt haben. Gerade dann, wenn es für die eine Welt identitätsstiftend ist, die andere bis in die gefühlte Nichtexistenz zu ignorieren.

Hier gibt es eine Menge Aspekte und Auswirkungen, die man beschreiben könnte, angefangen bei mangelndem Demokratieverständnis (wie soll man auf Teilhabe von Leuten achten, deren Existenz (zumindest als „echte Menschen“) man versuchen muss, so weit wie möglich zu ignorieren?), über ethische Fragestellungen (da könnte man schon beim schlichten Anstand anfangen) bis hin zu sozialen Inkompatibilitäten (und auch da geht’s schon beim Benehmen los).

Ich möchte mich noch ein Weilchen beim Thema der Wichtigkeit aufhalten. Denn hier liegt der Schlüssel, mit dem sich die normale Welt gegen so manche Auswüchse, mit denen sie seitens dieser Parallelwelt konfrontiert wird, zur Wehr setzen kann. Denn eigentlich ist es ganz einfach: Der Trick ist, wichtiger zu sein. Für eine dreidimensionale Welt sollte dies ein Leichtes sein gegenüber einer Welt, die ihr Gewicht in der Tiefe nur als optische Täuschung auf eine zweidimensionale Tapete gemalt hat. Die Schwierigkeit besteht nicht darin, zu beweisen, dass man über die dritte Dimension verfügt, denn die ist offensichtlich, gerade im direkten Vergleich zu einem zweidimensionalen Bild, sondern darin, eine Situation zu schaffen, in der der eigene räumliche Bau für alle, inklusive der Parallelweltbewohner, sichtbar neben den bemalten Bretterwänden steht.

Dazu ist es vielleicht hilfreich, mal zu schauen, worauf sich die postulierte Wichtigkeit jener „Eliten“ beruft. Das ist nämlich nicht die Menge an Geld (das ja für sie, wie wir festgestellt haben, einen rein funktionalen und keinen existentiellen Wert hat, deshalb verspielen sie ja auch das Geld anderer Leute, ohne jegliche Reflektion, was das für diese bedeuten könnte). Es sind die Fassade an sich, denn diese bauen ihre Welt auf. Dazu gehören Namen, egal ob von Menschen oder Marken. Einen Namen zu „haben“ macht die Wichtigkeit aus.

Dies meine ich sehr wörtlich. Es ist nicht leicht zu erklären, in welchem Umfang ich das meine, aber vielleicht hilft die folgende Überlegung zum Umgang mit Kunst seitens dieser Leute. Sie sind es, die Kunstwerke für eine Menge Geld kaufen, mit der eine siebenköpfige Familie locker 20 Jahre leben könnte, um sie sich über das Sofa zu hängen. Der Künstler selbst mag dabei vor 150 Jahren völlig verarmt und als sozialer Außenseiter verstorben sein. Dennoch hat er offensichtlich der Welt etwas Bleibendes hinterlassen und damit echte (!) Wichtigkeit erlangt. In der Ahnung dessen, dass sich an den Namen des Mitglieds der Möchtegern-Elite schon fünf Jahre nach seinem Tod außer direkten Verwandten kein Mensch mehr erinnern wird, kauft es sich Bedeutung über den Kauf des Kunstwerks und des damit verbundenen Namens.

Ähnlich funktioniert das mit den Namen von Marken oder Gebäuden oder ganzen Gegenden. Was da in Devon mit Dartington Hall passiert, schließt z. B. sogar jeden dieser Aspekte ein.

marchUm gleich bei diesem Beispiel zu bleiben: um den Versuch abzuwehren, dass dieser Ort komplett von der normalen Welt abgeschnitten und exklusiv der Elite-Parallelwelt einverleibt wird, gibt es mehrere Möglichkeiten, der zweidimensionalen „Wichtigkeit“ derer, die eine Exklusivität des Ortes, des Namens, der kulturellen Bedeutung und der damit verbundenen Tradition anstreben, eigene, echte Wichtigkeiten entgegenzusetzen.

Man ist dann wichtiger, wenn man internationaler ist, als irgendwelche „Trustees“, deren Namen außerhalb von Südengland kein Arsch kennt, im Gegensatz zu international renommierten Künstlern aller Sparten, die aus dem Dartington College of Arts hervorgegangen sind.

Man ist dann wichtiger, wenn man es schafft, die Namen, ähnlich wie bei einer Marke, mit den produktiven Kräften des Ortes zu assoziieren, das heißt „Dartington Hall“ und „Dartington College of Arts“ mit den Künstlern und ihren Produkten fest verknüpft bekommt und damit deren Bedeutungskern dem Zugriff einer reinen Finanzholding entzieht.

Man ist dann wichtiger, wenn man die Unterstützung wichtiger Leute findet, deren traditionelle Wichtigkeit schlicht älter als die moderner Manager ist, wie z. B. die eines Duke of Somerset.

Man ist dann wichtiger, wenn man prominenter ist, egal ob durch die Bekanntheit der eigenen Person oder durch die Vernetzung mit anderen Prominenten.

Und man ist dann wichtiger, wenn man es schafft, diese ganzen Wichtigkeiten zu einem Gesamtbild zu strukturieren und nach außen, in den Medien wie auch in die Gesellschaft hinein zu kommunizieren.

Dazu bedarf es lediglich ein paar Methoden, die die Möchtegern-Eliten nutzen, um ihre Bretterwände so zu bemalen, dass von der fehlenden Substanz dahinter abgelenkt wird. Denn diese Methoden wirken natürlich umso besser, wenn sie nicht kaschieren müssen, sondern echte, vorhandene Formen und Substanz betonen, herausheben und sichtbar machen können. Dazu nämlich wurden sie einmal erfunden.

Das sind zum Beispiel Methoden zur Erhöhung der Wiedererkennbarkeit (jeder Kleingewerbetreibende weiß inzwischen schon, was ein corporate design wert ist), Kommunikationsmethoden, wie sie Werbung und PR nutzen, um Aufmerksamkeit hervorzurufen und zu lenken, oder Methoden, die moderne Kommunikationsmittel (die überdies oft noch nicht in der Parallelwelt angekommen sind) zum Zwecke der Vernetzung zur Verfügung stellen.

Es handelt sich hier schlicht um die konsequente Anwendung der Methoden, mit deren Hilfe sich Mitglieder der „Elitewelt“ ihre Wichtigkeit aufbauen und sichern. Mit dem Unterschied, daß diese ausschließlich diese Sprache verstehen und sprechen und von ihr somit ähnlich existentiell abhängig sind wie Menschen der normalen Welt vom Geld. Jene jedoch können sich dieser Sprache und ihrer Methoden als ein einem reinen Werkzeug bedienen, ebenso ähnlich wie es die elitäre Welt mit Geld tun kann. Deshalb ist es für die normale Welt ratsam, mit dem Mittel zu arbeiten, von dem die elitäre Welt abhängig ist, um nicht darauf angewiesen zu sein, ihrerseits mit Mitteln arbeiten zu müssen, von der sie abhängig ist, mit denen aber die elitäre Welt völlig frei agieren kann. Wichtigkeit ist der existentielle Lebensnerv der elitären Welt – das schlimmste, was man Mitgliedern der Eliten antun kann ist, den Diskurs ihrer Themen zu übernehmen, aber sie (auch oder gar vor allem) als Personen zu ignorieren und damit ihrer Wichtigkeit zu berauben.

Man darf diese Leute nicht ernst nehmen (auch wenn ihre Taten leider oft ernst zu nehmende sein können). Zumindest darf man es ihnen nicht zeigen, dass man es tut. Am besten redet man über sie, aber nicht mit ihnen. Ideal wäre es, wenn sie direkt neben einem stünden, während man über sie redet. Nicht ernst nehmen bedeutet auch, dass man sich nicht über sie ärgert, sondern ihr Unverständnis bezüglich einer Angelegenheit bedauert oder nur sachlich feststellt, dass diese Leute von einem Thema eben einfach keine Ahnung haben bzw. überhaupt keinerlei relevante Kompetenz besitzen. Es ist also eine Haltung großelterlicher Milde und des Mitleids vonnöten. Diese Haltung empfiehlt sich übrigens auch gegenüber den oben kurz erwähnten intriganten Handlangern der Elite.

Wenn es gelingt dass diesen Personen alles, was sie als Substitut an sich zu knüpfen versuchen, entzogen wird (Marken, Namen), ist das die halbe Miete. Wenn es weiterhin gelingt, den Hauptfokus der Handlungsmöglichkeiten auf die Methoden der Fassadenmalerei zu lenken, und damit auf ein Werkzeug der einen und das Fundament der Existenz der anderen Seite, könnte das zu schaffen sein, was die Angehörigen der „Elite“ versuchen, über die Anwendung ihres Werkzeugs „Geld“ zu verhindern.

Denn genau das ist die Auflösung der Illusion: nicht die Fassadenmaler „schaffen“ und die normale Welt muss/will „verhindern“, sondern es ist genau umgekehrt. Die normale Welt will und kann etwas schaffen, das irgendwelche Fassadenheinis vergeblich verhindern wollen. Schaffen tut man nämlich in drei Dimensionen. Und nur dort.

 

P.S.: Ich habe hier jetzt noch keinen einzigen „Beleg-“ oder „Bezugslink“ verbaut. Kommt aber noch. Aber erst später, ich hab‘ den Rest der Woche unheimlich viel zu tun, so dass es der Text erstmal alleine tun muss, der ist immerhin auch schon zwei Tage alt und wird vom auf der Platte rumliegen nicht besser.

Nachtrag 13.02.: OK, jetzt hab ich endlich mal ein paar Bezüge verlinkt bekommen…

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