Die Xenophobie der bildungsfernen Schichten?

Was in Berlin-Hellersdorf und anderswo passiert (und seit Rostock niemanden mehr verwundern dürfte), wenn man Asylantenwohnheime irgendwo hin stellt, wird gern damit begründet, dass dort Menschen lebten, die zu sogenannten „bildungsfernen Schichten“ gehören und denen es „auch nicht gut“ ginge. Selbst wenn das der Grund wäre, ist ein Grund dennoch keine Entschuldigung, jeder Mensch hat ein Hirn und ich nehme niemanden aus der Verantwortung, es zu benutzen, nur weil sie/er kein Abi hat.

Ich komme auch nicht aus einer Akademikerfamilie, meine Eltern haben auch „nur“ die Volksschule besucht, aber auch die kämen nicht auf die Idee, ausgerechnet Leuten, denen es noch schlechter geht als jedem HartzIV-Empfänger in diesem Land (was man erst mal schaffen muss!), die Schuld für irgendwelche eigenen Probleme zu geben oder sie einfach „nur so“ zu hassen, nur weil sie „nicht von hier“ sind.

Aber was ich sagen wollte: wer wirklich glaubt, die soziale Schichtung der dortigen Anwohner sei der Grund für diese hässlichen Bilder, dürfte sich sehr wundern, welche Bilder er zu sehen bekäme und Aussagen zu hören, würde ein Asylantenwohnheim in einer Villengegend voller gut verdienender Akademiker platziert werden. Mag sein, dass manche davon ihre Braunstichigkeit dann etwas geschickter formulieren. Aber glaubt irgendwer ernsthaft, dass abseits des u.U. verwendeten Vokabulars sich da eine um auch nur einen Deut unterschiedliche Geisteshaltung offenbaren würde?

Angesichts dessen, dass 20 Jahre nach Rostock keiner etwas gelernt zu haben scheint, vor allem aber auch kein Politiker, der sich jetzt trotz lächerlicher Zahlen wieder vor Kameras stellt und von „Schwemmen“ faselt und mit „das Boot ist voll“-Rhetorik daher kommt und mal wieder geistige Brandstiftung betreibt und dumpfe Fremdenfeindlichkeit, die sich durch alle Schichten, Altersstufen und Bildungsstände zieht, mit Vorurteilen bedient und mit bewusster Fehlinterpretation von „Statistiken“ befeuert und dabei auch noch verantwortlich ist für die menschenunwürdige Situation von Flüchtlingen und jeder anderen Person, die irgendwie auf Hilfe des Staates und der Gesellschaft angewiesen ist, sehe ich wenig Chancen auf Änderung.

Und ich muss unterstellen, dass auch keine gewollt wird. Solidarität unter den Menschen, womöglich sogar Empathie, das sind keine gewünschten Werte und Fertigkeiten mehr für diese Gesellschaft. Wenn überhaupt, dann sollen bitte „die anderen“ solche Fertigkeiten haben, dort, wo es denen, die sie nicht haben, nützt: Menschen, die in unterbezahlten Berufsfeldern wie Kranken-/Altenpflege o.ä. malochen und denen, wenn sie sich über ihre Arbeitsbedingungen beschweren, entgegengehalten wird, dass sie das „doch nicht für’s Geld“ machen würden „oder etwa doch?“ (Vorwurfsvoller Ton, gekoppelt mit einem impliziten „Wie naiv bist DU denn?“).

Menschen, die diese Werte nie gelernt haben, oder besser, das Gegenteil, wenn nicht zuhause dann spätestens in der Schule, sind auch leichter gegeneinander auszuspielen. So kann man den Kotlett-Knochen in die Menge werfen, sagen „mehr können wir uns nicht leisten, ihr wisst schon, wegen wem!“, und, während sich dann alles um den mageren Knochen prügelt, können die Großkopferten gemütlich und ohne, dass mans ihnen streitig machte, das saftige Stück Fleisch futtern. Und nachdem sie sich den Mund abgewischt haben Krokodilstränen vergießen darüber, wie furchtbar sie es finden, wie da Menschen miteinander umgehen.

 

22 Gedanken zu „Die Xenophobie der bildungsfernen Schichten?

  1. Hm, ich weiß nicht. Bildungsfern heißt ja nicht nur bildungsfern. Die Leute haben oft auch ihren Weg gemacht und dann zwar ganz anders. Ich würde sagen, dass da einfach schneller „hingelangt“ wird wenn die Argumente ausgehen. Das kenne ich aus eigener Erfahrung mehr als genug.
    Die Villengegend ruft eben die Polizei oder den Freund den Bürgermeister und mit zwei Wasserwerfer wird dann mit staatlicher Gewalt für Ordnung gesorgt. Das ist genau das selbe sieht aber legaler aus als wenn Hans Dampf mit Steinen wirft.
    Die „Villengegend“ prügelt nicht, sie lässt prügeln und bezahlt dafür.

    1. Ja, in der Villengegend sähe es eben nur anders aus. Weil: andere Möglichkeiten.

      Aber der Hintergrund ist der selbe: Vorurteile, Dumpfheit, Ablehnung von “anderem”, Neid und Missgunst, und auch dort bis hin zu eindeutiger Nazi-Denke.

      Es gibt auch in Berlin-Hellersdorf Anwohner, die, obwohl sie selbst wenig haben, dorthin gehen und Kleider und Spielsachen spenden, neugierig und offen sind. Und damit belegen, dass es eben nicht am Schulabschluss und/oder der sozialen Schicht liegt. Ich hab das geschrieben, weil ich mich darüber ärgere, dass es Leute gibt, die in ihrer eigenen Kurzsichtigkeit (und letztlich auch durch Vorurteile motiviert) ebendas dennoch aber gern als „Grund“, oft sogar als Entschuldigung anführen.

      1. oh ja, gerade gestern erlebt.
        Ein altes Ehepaar (Oma und Opa) bei der Einschulung. Gebildet. Kommt die schwarz verhüllte Muslima aus dem Schulhaus (Gesicht sichtbar)
        Oma „Ist ihnen nicht heiß“
        Frau: „Nein, sie tragen doch auch eine Jacke“
        Oma: „ich frag nur, warum tragen sie so etwas, tragen sie das auch zu Hause“
        Die Tochter (evtl selbst Pädagogin in ihrer Art) der Oma habe ich kurz zuvor kennen gelernt sagte im vorbei gehen „Ich kann auch nicht mit solchen Vermummten“
        Ich biss mir auf die Zunge.
        Sah eine halbe Stunde später die Frau immer noch mit den zwei Alten diskutieren.
        Ich glaube zum Glück ist es in meinem Viertel so normal geworden das man da nicht diskutiert und da es Koreaner, Chinesen, Afrikaner, etc gibt ist man da auch einigermaßen gelassen worden im Umgang. Ich bin froh um all diese Leutchen.

        1. Ja, wenn solche Leute mal kapieren würden, dass „anders“ sie nicht gefährdet sondern sogar bereichert. Niemand nimmt jemandem seine Schupfnudeln weg, nur weil es plötzlich auch Döner, Glasnudeln und Aivar gibt. Es ist doch immer ein „mehr“, wenn etwas zu etwas anderem dazu kommt *seufz*

  2. Westdeutsche hatten unabhängig vom Bildungsstand die Möglichkeit, ihren Horizont nach und nach zu erweitern. Erst zogen paar Italiener in die Gegend, dann paar Griechen und Türken… auf dem Land kannte man sich zumindest vom Sehen, und wenn es altersmäßig passte, spielten die Kinder miteinander.

    Die DDR war so ausländerfrei wie es heute braune Parteien fordern, und gleichzeitig wurde eine aufgesetzte Völkerfreundschaft inszeniert. Dabei konnte ja nichts Gescheites rauskommen.

    1. Nuja, Duisburg und Hamburg heute, oder auch Mölln und Solingen in den 90gern z.B. liegen nicht in der ehemaligen DDR – ja, ich denke, dass in den ehemaligen Ostzone-Gebieten kulturell bedingt Dinge auch heute noch etwas anders liegen. Aber ich glaube, das macht sich eher in rein „optischen“ Details bemerkbar. Z.B. in dem, dass die Bereitschaft für xenophobe Menschen, diese in Nazisymbolik auszudrücken, größer ist als „im Westen“. Wo man gelernt hat, diese Ressentiments anders zu zeigen. Oder auch zu verbrämen. Aber ich glaube nicht, dass das eigentliche Problem, hinter den jeweiligen Fassaden, sich großartig unterscheidet. In Hessen hat Koch vor ein paar Jahren mit einer Unterschriftenaktion gegen Ausländer Wahlkampf gemacht und die Leute gingen zu den CDU-Ständen und fragten „Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?“.

        1. Mölln und Solingen waren erwiesen Nazis, die Anfeindungen in Duisburg unterscheiden sich inhaltlich nicht von denen, die die Asylanten in Berlin zu hören bekommen und an „Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben“(ist ein Originalzitat) gibts auch wenig zu spekulieren, denke ich 😉

          1. Ich meinte damit nicht Täter in Mölln und Solingen, sondern bezog mich auf

            Z.B. in dem, dass die Bereitschaft für xenophobe Menschen, diese in Nazisymbolik auszudrücken, größer ist als “im Westen”. Wo man gelernt hat, diese Ressentiments anders zu zeigen. Oder auch zu verbrämen.

            … und das hatte ich so aufgefasst, dass es sich auf weitere politische Milieus bezog, wie der Blogeintrag oben halt auch. Aber anscheinend ging es dir um eine Style-Unterscheidung zwischen West-Nazis und Ost-Nazis. (Missverständnis also.)

          2. Achso – ich hatte dich so verstanden, als meintest du, es gäbe im Westen weniger Nazis, nur weil die sich da besser zu tarnen gelernt haben – sorry für das Missverständnis

    2. Zustimmung: Aber obwohl meine gesamte Kindheit immer wieder ausländische Spielkameraden meine Freunde waren, tauchen in meiner Familie oft und gerne ausländerfeindliche Sprüche auf. Nicht wirklich bösartig sondern eher so „sagt man halt so“ Sprüche.
      Kann da jetzt nicht weiterschreiben.

  3. Wie falsch man liegt, wenn man meint, Fremdenhass und Rassismus käme aus der Unterschicht, fällt einem wie Schuppen von den Augen, wenn man mal recherchiert, wo die lautesten rechten Populisten unserer Zeit herkommen: Stefan Herre? Thilo Sarrazin? Kai Diekmann?

  4. Natürlich ist es nicht so eine Auszeichnung von bildungsnah und -fern. Es ist nur so das der bildungsferne oft eher auch mal im Leben schief hängt. Kein Geld , kein Job, keine Perspektive. Irgendwer muss ja aber daran Schuld sein (das denkt jeder egal wie gebildet man ist).
    Wer hat weniger noch als Arbeitslose? Asylanten.
    Der „Reiche“ kann ja immer noch auf HartzIV Kandidaten herziehen (ohne Rassist zu sein)
    Die Leute ziehen ja nicht über Ausländer her, weil es Ausländer sind! Sondern weil sie schwächer sind.
    Ich kenne einfachstes Arbeitermilieu da wird „Ausländer“ und „HartzIV Empfänger“ in einem Atemzug genannt.
    Das man Ausländer eben leichter auf der Straße erkennt, macht es natürlich auch einfacher als Ziel zu definieren.

    Ich kenne jemanden der gerne extrem antimuslimische Hetze erzählt aber auch „Ohne den Türken könnte ich in meinem Job nicht arbeiten. Die Deutschen sind dauernd krank, aber Ali ist immer da wenn ich ihn brauche. Er ist mein bester Mann“

  5. Es wäre eben praktisch für die Mehrheitsgesellschaft, wenn Rassismus vor allem in „bildungsfernen Schichten“, bei den Ostdeutschen oder anderen leicht ab- und ausgrenzbaren Bevölkerungsgruppen zu verorten wäre. Dann müsste sie sich nicht mit den Ressentiments in ihrer eignen Mitte und Denken beschäftigen und könnte den Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit genauso kämpfen, wie sie selbst Ausländerfeindlichkeit betreibt: Durch Stigmatisierung und Ausgrenzung.

    Leider ist dem nur nicht so: http://www.taz.de/!119734/

  6. Prima Text. Und stimmt bis ins Kleinste hinein. Kann nur auf die Studien von Adorno und Co zum autoritären Charakter verweisen. Zusätzlich steigt die Anfällligkeit für Propaganda in dem Maße, in dem es Menschen nicht möglich gemacht wird, Erfahrungen zu sammeln, Informationen zu erhalten und zu verarbeiten. Auf der einen Seite wie auf der anderen Seite äußert „gebildete“ Menschen sich nicht davon abbringen lassen, den größten Unsinn zu verbreiten. Es war immerhin das Land der Dichter und Denker …

  7. „wer wirklich glaubt, die soziale Schichtung der dortigen Anwohner sei der Grund für diese hässlichen Bilder, dürfte sich sehr wundern, welche Bilder er zu sehen bekäme und Aussagen zu hören, würde ein Asylantenwohnheim in einer Villengegend voller gut verdienender Akademiker platziert werden. “
    Wie wahr. Als würden keine Akademiker in der mehr als rassistischen CSU sitzen…

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