Apokalyptiker an der Macht

Ich lagere hier mal einen Gedanken, den ich im Gesichtsbuch als Kommentar schrob auf die Frage nach der Motivation von Überwachung und Kontrolle der eigenen Mitbürger in sich selbst als „freiheitliche Demokratie“ bezeichnenden Ländern, die aufkam, als diese Praxis mit der totalitärer Staaten verglichen wurde. Der Gedanke ist schon sehr alt, ich hatte ihn hier schon im Jahre 2006(!!!) angedeutet, aber noch nicht so ausformuliert wie im Folgenden. Ja, ich schreibe auf jeden Fall noch einen längeren Artikel zum Thema Überwachung. Genau deshalb werfe ich diesen Gedankengang schon mal hier hin, um mich später noch mal drauf beziehen zu können.

Die Motivation [für Überwachung in einem demokratischen Staat] ist in der Tat eine andere [als in einer totalitären Diktatur], und die Motivation ist es auch am Ende, die ein Ergebnis immer mitbestimmt – wir leben (zum Glück) nicht in einem Terrorregime, in dem Überwachung ein Mittel von vielen ist, bzw. als Werkzeug eine Voraussetzung, um programmatisch und „gewollt“ Menschenrechte zu unterdrücken und Macht totalitär und absolut zu erreichen und zu erhalten.

Die Überwachung, wie wir sie heute erleben (und noch bis zum Beginn der 90ger niemals für möglich gehalten hätten, würde ich meinem jüngeren Ich erzählen, was heute abgeht, ich hätte es mir nicht geglaubt, weil ich nie geglaubt hätte, dass „wir“ das zugelassen hätten) hat andere Motivationen: sie spiegelt auf der irrationalen Seite eine Angst vor Kontrollverlust wider, oder aber auch den Glauben, dieser Kontrollverlust sei abwendbar, es ist die Angst alter Männer vor dem Tod und dem „jüngsten Gericht“, die Angst, „Schuld“ zu sein, weil man „nicht alles getan“ habe, aber auch ein Zeichen voranschreitender Technokratie, die ähnliche Motive zum Hintergrund hat, denn technokratische Systeme entheben den einzelnen Menschen seiner Verantwortung und produziert „Schreibtischtäter“ ohne eigenen Willen, die sich ja „nur an Vorschriften gehalten haben“. Ein Zeichen dafür ist die ständig wiederkehrende Argumentation, dass ja „alles gesetzlich geregelt“ sei und damit auch „rechtens“ – dass Gesetze einfach „falsch“ sein können ist da nachrangig. Friedrichs „Supergrundrecht“ spricht da auch Bände. Die Menschenrechte sind da Kollateralschaden, nicht Ziel.

Politik heute ist keine Vision mehr, keine Zukunftsgestaltung, kein Gesellschaftsbild, sondern nur noch Verwaltung und Beharren auf einen Status Quo – „Haltet die Welt an“, aber sie dreht sich eben dennoch weiter.

Die Angstspirale dreht sich ebenso weiter, ein weiteres Signal dafür: der Umgang mit den diversen „Finanzkrisen“, die die unglaublichsten Schreckensszenarien heraufbeschwört, sollte man es nicht schaffen, alles so zu lassen wie es ist, die Möglichkeit, dass eine Veränderung auch eine zum Besseren sein könnte wird nicht einmal mehr als utopische Hoffnungs-Option angenommen, es gibt sie schlicht nicht, die einzige gute oder bessere Zukunft wird in der Vergangenheit gesehen, aber da war ich schon, die war nicht besser. Nur anders.

Das alles erinnert mich an das erste Jahrtausend unserer Zeitrechnung, als das „römische Reich“ auf Teufel komm raus erhalten wurde, selbst als es schon lang nicht mehr existierte sondern irgendein irgendwas nur noch dessen Namen trug, weil man glaubte, dass der Untergang des römischen Reiches das Zeichen sei, dass die Apokalypse käme und man deshalb „trickste“, nach dem Motto: „Schau, es ist doch noch da“ – und wenn nur als Formalität.

Yoda hat recht, wenn er sagt, dass Furcht die größte Gefahr ist, die es für die menschliche Seele gibt.

 

7 Gedanken zu „Apokalyptiker an der Macht

  1. Hallo Sven,

    „wir leben (zum Glück) nicht in einem Terrorregime“

    Das stimmt zwar. Aber die demokratiefeindlichen Mittel, die zunehmend zum Einsatz kommen und von einer Mehrheit noch weitgehend widerspruchslos hingenommen werden, beunruhigen mich dennoch sehr. Denn unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem, das wir zur Maxime unserer Gesellschaftsordnungen gemacht haben, ist ein sterbendes. Und im Zuge des imo unabwendbaren Kollabierens des Kapitalismus wird er m.E. sehr wahrscheinlich auch die politische Ordnung mitreißen (vor allem deshalb, weil sich Regierende gegenwärtig mehrheitlich wie Ertrinkende an jeden kapitalistischen Strohhalm klammern, weil sie keine Vorstellung vom Danach haben). Das wiederum bedeutet, wir können derzeit überhaupt nicht einschätzen, in welche Hände die gegenwärtig geschaffenen Kontroll- und Machtinstrumente in naher Zukunft gelangen könnten.

    Im Kontrollwahn der Gegenwartspolitiker zeigt sich imo ihre Angst vor dem großen gesellschaftlichen Wandel. Wagemut, Kreativität und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in die ihrer Völker ist, was ich ihnen wünsche. Denn daraus lässt sich ein Antiserum gegen Zukunftsangst brauen, die lähmendes Gift ist für fortschrittliche Gesellschaften.

  2. Dass wir nicht in einem Terrorregime leben sollte keine Beruhigung sein, sondern nur eine Einordnung. Beunruhigend sind die Tendenzen freilich zur Genüge – gerade weil auf Methoden zurückgegriffen wird, wie man sie eigentlich nur von totalitären Systemen kennt… 😉

  3. Dass die Politik gar kein Interesse daran hat, irgendwelchen Ängsten positive Visionen entgegenzusetzen, liegt doch auf der Hand. Ängste sind ein probates Instrument der Steuerung der Massen in Richtung des erwünschten Verhaltens. Das gilt auf der (innen)politischen Ebene, wo die diffuse Sorge vor Terroranschlägen etc. dazu herhalten muss, der Bevölkerung ein immer höheres Maß an Überwachung und Gängelung aufzunötigen, ebenso wie im wirtschaftlichen Bereich, wo den Leuten mit dem Schreckgespenst der Altersarmut vor Augen irgendwelche politisch erwünschten Finanzmarkt-Produkte wie Riesterrenten und Pflegeversicherungen aufgedrückt werden, deren vermeintliche Notwendigkeit überhaupt erst aus der politisch gewollten Demontage des Sozialstaats resultiert. Oder nehmen wir die ganz banale Produktwerbung, die unterschwellig sehr oft auf die Ängste des Individuums zielt, uncool zu sein ohne dieses oder jenes Produkt. Es lohnt also praktisch immer, sich zu fragen, was uns mit der geschürten Angst vor was auch immer denn bitte schön verkauft werden soll.

  4. Ja, das ist ein anderer Aspekt, wobei ich diesen Leuten aber nicht zugestehe, das quasi grundsätzlich „bewusst“ zu machen sondern tatsächlich unterstelle, selbst überwiegend Angstgesteuert zu sein. Ich glaube nämlich nicht, dass so viele Menschen (es sind ja nicht einfach nur einzelne Personen, sondern ganze Strukturen, also Ministerien, Behörden, all deren Mitarbeiter usw. usf.) an einer Art „gemeinsamen Masterplan“ arbeiten, „das Volk“ schön kontrollierbar zu halten, damit sie selbst irgendwelche „Macht“ ausüben könnten (welche, letztendlich, sollte das sein?) – ich kenne solche Ängste und Strukturen, und auch die Reaktionen darauf, selbst auch aus ganz anderen, kleineren Zusammenhängen und fand außer in der Größenordnung nicht allzuviele Unterschiede. Ich spreche von Vereinen, in denen „dem Vorstand“ Machtgelüste unterstellt wurde, aber auch diese Vorstände unbewusst alles taten, solche Eindrücke zu provozieren, indem auch sie ständig von „Verantwortung“ faselten, aber vor lauter Angst „Schuld“ zu sein tagaus tafein darüber stritten, warum Dinge nicht anders gehen würden, Sündenböcke suchten (und fanden) und hinter den Kulissen seilschafteten und intrigierten, ohne sachlichen Grund oder Notwendigkeit.

    Ich denke deshalb, nicht wenige der Gründe, warum Dinge so laufen wie sie laufen sind tatsächlich strukturelle. Hierarchie-Logiken (Peter-Prinzip, mangelnde Delegationsfähigkeit, der zu falschem Umgang mit eigenen Kompetenzlücken führt, etc.), Blasenfilter und eben auch dieser, den ich oben beschrieb, nämlich Angst, die entsteht, wenn man Dinge nicht (mehr) versteht bzw. überhaupt kennt (und Angst hat, dass das „rauskommt“), das grundsätzliche Gefühl von Kontrollverlust hat und überhaupt mit einem Weltbild geprägt wurde, das nicht zwischen Verantwortung und Schuld (bis hin zur „Höllenangst“, die aus ihr folgt) unterscheiden kann.

    Natürlich ist das alles nicht monokausal, da kommen natürlich auch Machtstreben, Gier, eine Portion Soziopathie und ähnliches dazu. Manche dieser Motivationen auch durchaus bewusst. Aber auch oder gerade diese bewussten Motivationen haben Wurzeln und Ursachen.

    Achso, und bitte natürlich auch eins nicht missversthen: Wenn ich mir Gedanken über Gründe mache, speziell welche für die jemand nicht direkt „was kann“, heißt das nicht, dass ich solche Leute aus der Verantwortung für das, was sie tun, nähme. Ich suche solche Gründe, um Ansatzpunkte zu finden. Wo man was ändern kann, durch Aufmerksamkeit, durch Bewusstmachung unbewusster Vorgänge und Internalisierungen und wenn vielleicht nicht direkt bei denen „in Charge“ doch vielleicht bei manchen Vertretern der nächsten Generationen. Bevor auch die zu alt werden, um sich dem „ängstliche alte Männer*“-Syndrom zu entziehen.

    *“Männer“ deshalb, weil es gesellschaftlich bedingt in der Vergangenheit zum größten Teil und heute noch immer überwiegend Männer sind, die in diesem Zustand in Machtpositionen sitzen und deshalb den „Archetypus“ entsprechend prägen. Noch.

    1. Ja, das klingt soweit plausibel, den großen Masterplan braucht es gar nicht, da sorgen schon Interessenskongruenz und Konformitätsdruck innerhalb bestimmter Strukturen für konsistentes Verhalten einzelner Mitwirkender. Angst ist, wenn wir von hierarchischen Strukturen reden, gewissermaßen die andere Seite der Medaille Ego, das eine ist kaum ohne das andere zu haben. Trotzdem schien es mir nicht ganz unwichtig darauf hinzuweisen, dass diese Angst-Knöpfe ein wirkmächtiges soziokybernetisches Steuerungsinstrument sind. Hier ein anschauliches Beispiel dessen, wovon ich rede. Vor lauter angstgetriebener Sicherheitsdenke wird den Leuten der verbleibende Rest Freiheit, den wir noch genießen, zunehmend egal.

      1. Ja, in dem Punkt „Auswirkung von Angst“ seh ich uns völlig einig – der einzige Punkt, wo ich glaub ich ein bisschen weiter gehe ist der, dass ich auch die Manipulateure sehr viel stärker als „Opfer“ der Auswirkung von Ängsten sehe (in „“, weil blödes Wort, wie gesagt: ein Grund heißt nicht, dass sie nicht dennoch verantwortlich für ihr Tun und die Folgen daraus sind) als das gemeinhin gesehen wird. Inklusive von ihnen selbst 🙂

        Dem Breitenbach sein Artikel, den Holgi da verlinkt hat, fand ich übrigens auch sehr plausibel, der liegt schon länger in meinen Bookmarks – das wäre ein weiterer Aspekt, den ich hier jetzt noch nicht aufgeführt aber mit auf’m Schirm hab.

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