Archiv für den Monat: Mai 2009

Schreibtischtäter

Was über Jahre hinweg kein Journalistenprofi geschafft hat – oder sich nie traute – stellten nun ein paar Studenten bei einem Besuch von Condoleeza Rice an der Stanford University bloß: Rice hat neben einem höchst seltsamen Geschichtsverständnis das Verhalten der Beteiligten in der Kommandokette der Bush-Administration in Bezug auf die Folterpraktiken der USA als eines entlarvt, das man wohl eindeutig als „Schreibtischtäter-Verhalten“ bezeichnen muss. Rices Ansicht nach habe sie keine Folter erlaubt, weil ihre Anweisungen „vom Präsidenten authorisiert worden“ seien und sie deshalb nicht „gegen die Vorschriften […] verstoßen“ habe.

[…] by definition if it was authorized by the President, it did not violate our obligations under the Convention against Torture […]

Wenn ich das richtig einschätze, glaubt sie relativ verzweifelt selber daran, dass sie „rechtens“ gehandelt habe und Gesetzestexte und entsprechend ausgelegte Anweisungen von „oben“ alles so rechtfertigt, dass sie keinerlei Verantwortung – oder gar Schuld, deren Natur es ist, dass diese stets beim anderen zu liegen hat – für ihre eigenen Handlungen zu tragen habe, da sie ihre Handlungen in der „Rechtssicherheit“ von Vorschriften und Anweisungen und deren Auslegungen und Interpretationen begangen haben will.

Damit steht Condie letztlich aber nur in der Tradition der auch hierzulande grassierenden Methode, Entscheidungen in einer rein bürokratisch gedachten Art und Weise rein „juristisch“ legitimieren zu wollen (Hierzulande werden nach diesem Muster zum Beispiel aus menschlicher Sicht völlig wahnwitzige Abschiebungen begründet).

Also die Vorschriftengemäßheit einer Handlung – indem sie so in vorhandene Gesetze, Vorschriften und Anweisungen „eingepasst“ wird, dass keine Anweisung, Vorschrift oder Gesetz verletzt worden ist – wird als alleiniger Maßstab für die ethisch-moralische Bewertung der Tat genommen. Juristische „Rechtmäßigkeit“ (wobei über eine solche bekanntermaßen meißt ja auch stets gestritten werden kann, da man auf diesem Gebiet alles so oder so auslegen kann, dieses Rechtsverständnis steht wohl in der guten Tradition der christlichen Bibelauslegung, die auch alles, was sie möchte, mit irgendeinem Bibelzitat begründen kann, inklusive des völligen Gegenteils) wird mit Gerechtigkeit verwechselt. Oder gar, wenn es richtig zynisch wird, fehlende Gerechtigkeit damit gerechtfertigt und manchmal gar mit den Worten „aber so sind nunmal leider die Vorschriften“ bedauert.

Die interessanten Teile, auch in Hinblick auf Condies „Vergesslichkeit“ gegenüber Aussagen des Roten Kreuzes (PDF) und ihrer Auslegung, wer bei ihr so alles die OSCE repräsentieren darf, hat Thomas Nephew hier nochmal schriftlich (englisch) festgehalten und kommentiert, aber weil ich oben etwas vom „seltsamen Geschichtsverständnis“ schrob will ich diese Perle der Rice’schen Historiendeutung noch schnell nachliefern:

1ST QUESTIONER [3:30]: …even in World War II, as we faced Nazi Germany, probably the greatest threat that America has ever faced, even then…
RICE [3:37]: With all due respect, Nazi Germany never attacked the homeland of the United States.
1ST QUESTIONER [3:44]: They bombed our allies.
RICE [3:46]: Just a second. Three thousand Americans died in the Twin Towers and in the Pentagon.
1ST QUESTIONER [3:52]: Five hundred thousand died in World War II, and yet we did not torture the prisoners of war. […]

Achso, ich erinnere daran: es stellen sich aktuell zwei Menschen in Deutschland zur Wahl zum Bundeskanzler, von denen die eine, wäre sie damals schon an der Macht gewesen, Deutschland am Irakkrieg beteiligt hätte, und die sich an Bush ranschneckte und ihm versicherte, mit ihr wäre ihm so ein Desaster wie mit Schröder nicht passiert (das war echt das einzige, was dieser Typ richtig gemacht hat) und deren Innenminister ebenfalls kein Problem mit Folter zu haben scheint, solange es jemand anderes tut. Und der andere dafür verantwortlich ist, dass ein deutscher Staatsbürger, der von der CIA entführt, gefoltert und nach Guantanamo verschleppt wurde, dort um Jahre länger festgehalten wurde als „nötig“ – oder auch nicht, denn man weiß ja, „die Vorschriften“ und „alles im gesetzlichen Rahmen“ und so…. Für mich macht das beide – nicht nur aus diesem Grund, aber wenns sonst nichts gäbe, würde es auch reichen – unwählbar.

Dartington College in der TAZ

„Das Ende einer Künstleroase“ betitelt die TAZ ihren Artikel über das skandalöse Ende von Karans College „Dartington College of Arts“ in Totnes, England.

[…] Einzigartig wird Totnes, das schon 1965 von den Ranking-wütigen Briten zu einer der Top-40-Towns Großbritanniens gekürt wurde und sich laut British Airways Magazine heute zu den Top 10 of the worlds funkiest towns gemausert hat, jedoch vor allem durch die postmodernen Kunst-, Literatur, Musik-, und Theaterstudierenden des seit 1961 bestehenden Dartington College of Arts. Nun nach über 40 Jahren droht dem vielfach preisgekrönten, kleinsten auf Kunst spezialisierten, unabhängigen College Großbritanniens das Aus: der Dartington Hall Trust, der den Grund an das College vermietete, möchte die Performance-Hippies loswerden, um stattdessen an gleicher Stelle eine elitäre, private Musikeinrichtung ins Leben zu rufen. Von dem international bekannten Namen, Dartington College of Arts, und den in den letzten Jahren vom College mit 5 Millionen Pfund (Ergänzung von mir: öffentlicher Fördergelder aus Staats- und EU-Töpfen)einzigartig ausgerüsteten Tanz-, Theater und Multimediastudios will der Trust jedoch weiterhin profitieren.

Das College selbst soll, so der heutige Stand, spätestens zum Jahreswechsel 2009/2010 ins fast sechs Autostunden von London entfernte Falmouth in Cornwall umziehen – ein Umzug ins Abseits. […]

Und ist damit das einzige deutschsprachige Medium, das ich gefunden habe, das über diesen Skandal, der da drüben auf der Insel stattfindet und den jetzt endgültig verlorenen Kampf um die Erhaltung dieses Colleges aktuell berichtet (hat).